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04 Jan 0
04-01-2017
Liebe Landsleute und liebe Freunde,
unsere deutsche schlesische Dichterin Ingeborg Odelga schrieb: „Die Gegenwart ist die kostbarste Zeit (…) die Zeit des Geschehens, des Werdens, der Entscheidung”. Fest in der Realität der Gegenwart stehend, blicke ich in die Vergangenheit zurück. Hinter uns liegt ein Jahr voller Ereignisse und Entscheidungen, die erneut die Lebendigkeit unserer deutschen Gemeinschaft zeigten. Es war ein besonderes Jubiläumsjahr. Wir feierten das 25-jährige Jubiläum des Bestehens des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen und gleichzeitig das 25-jährige Jubiläum des deutsch-polnischen Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. Bei diesen Feierlichkeiten ehrten wir diejenigen von uns, die sich damals in hunderten von Ortschaften in Schlesien, Pommern, Großpolen , Ost- und Westpreußen mutig zu ihrem Deutschtum bekannten und somit den Grundstein für die Strukturen der deutschen Minderheit in Polen legten. Im vergangenen Jahr haben wir das Forschungszentrum der deutschen Minderheit in Polen gegründet, um unsere Anfänge zu erforschen, denn wir sind uns dessen bewusst, dass außer denen, die wir kennen und an die wir uns erinnern können, auch diejenigen waren, die schon früher, vor allem zu Beginn der 80er Jahre zu Zeiten der „Solidarność“-Bewegung, versucht haben deutsche Gesellschaften zu organisieren. Sie waren ihrer Zeit voraus und haben dafür mit Schikanen, Gefängnis und der Ausweisung aus ihrer Heimat bezahlt. Wir müssen sie in unsere Erinnerung zurückführen.
Heute sind die Deutschen in Polen eine so sichtbare und anerkannte Gruppe, dass die größte Organisation der nationalen Minderheiten in Europa, FUEN, auf unsere Einladung hin ihren Kongress in Breslau organisiert hat und die innerhalb ihrer Strukturen wirkende Arbeitsgemeinschaft der deutschen Minderheiten (AGDM) ernannte den Vertreter der deutschen Minderheit in Polen zu ihrem Sprecher. Durch das Prisma des Vertrags von vor 25 Jahren ist es uns im Rahmen von unzähligen Projekten gelungen, den Weg, den die beiden Völker überwinden mussten, um sich näher zu kommen, wie auch die Rolle Deutschlands auf dem Weg Polens in die NATO, EU und die historische Bedeutung der freundschaftlichen Beziehung zwischen Deutschland und Polen zu zeigen. Wir haben dies getan, um uns selbst und der ganzen Gesellschaft die Werte dieser Freundschaft im Kontext der über das ganze Jahr sichtbar wachsenden Distanz zwischen der diplomatischen Korrektheit und der realen Rhetorik, die die schon erreichten Beziehungen zerstören könnte, zu zeigen. Wir sind dazu besonders verpflichtet, die Partnerschaften zwischen den Gesellschaften, Verbänden und Selbstverwaltungen noch stärker zu aktivieren und zu bauen. Die starke Bindung zwischen den Durchschnittsdeutschen und -Polen ist die beste Verteidigung vor jeglichen nationalistischen Einwirkungen.
Bedauerlicherweise mussten wir zusammen mit anderen nationalen Minderheiten gegen die immer größer werdende Fremdfeindlichkeit und wachsende Hasssprache protestieren und die Politiker dazu auffordern, solche Erscheinungen zu verurteilen, um die Eskalation zu verhindern. Der Besuch von Papst Franziskus gab uns eine zusätzliche Kraft, die aus den an die Jugend gerichteten Worten stammte: „…wir brauchen euch, damit ihr uns lehrt, in der Vielfallt (…), Dialog, im gegenseitigen Teilen, in der Multikulturalität als Chance und nicht als Bedrohung zusammenzuleben“. Diese Worte über den Dialog und Schätzung der Vielfalt unterscheiden sich schmerzhaft von der am Ende des Jahres herrschenden Stimmung, wo die auch der deutschen Minderheit schadende Entscheidung der Regierung über die Vergrößerung der Stadt Oppeln die Einwohner von Groß Döbern, auch die deutschen Schlesier dazu gezwungen hat, zur Verteidigung des Dialogs und Rechtes zur eigenen kleinen Heimat in einen Hungerstreik zu treten. Das ist auch ein Protest gegen die verächtlichen Äußerungen eines Ministers der polnischen Regierung gegenüber polnischen Bürgern deutscher Abstammung.
Das ist nicht der einzige Protest in dem so sehr geteiltem Land. Wir waren ebenso dazu gezwungen, Stellung zur geplanten Gesetzesänderung zu nehmen, die die Erinnerung nicht nur an die in den Kriegen umgekommenen Vorfahren, sondern auch andere Denkmäler der deutschen Geschichte gefährdet. Gründe für die wachsenden Risse in der Gesellschaft liegen nicht nur in der Innenpolitik, sondern auch in der Beziehung zur Europäischen Gemeinschaft und der Werte auf denen sie beruht. Diese Werte entstanden aufgrund des Aufeinandertreffens dreier Quellen: des Christentums auf dem Fundament des Glaubens Israels, der griechischen Philosophie und der römischen Rechtsprechung. Diese Werte geben uns Sicherheit. Wir waren und bleiben immer gegen all diejenigen, die uns aus der Gemeinschaft dieser Werte reißen wollen.
Wir stehen an der Schwelle des neuen Jahres, das für uns Deutsche im Schatten des wichtigen 500. Jubiläums der Reformation verlaufen wird. Ein besonders wichtiges Jubiläum für die Mitglieder unserer Gemeinschaft, die den Kirchen in der lutherischen Tradition angehören. Für uns alle ist es jedoch wichtig, weil wir wissen, wie die Reformation und ihre Folgen die deutschsprachigen Länder verändert, die Sprache nobilitiert und vor allem das Zusammenleben und Einheit trotz konfessioneller Unterschiede in die europäische Geschichte eingeführt haben. Auf diesem Fundament basieren zeitgenössische europäische Werte wie Freiheit, Pluralismus und Toleranz gegenüber anderen Ansichten, Herkunft oder Religionen. Dank ihnen sind Menschen- und nationale Minderheitenrechte möglich. Aus diesem Grund denken wir an dieses Jubiläum.
Dank der Reformation wurde die deutsche Sprache nobilitiert, die nach Jahren der Unterdrückung erst seit einem Vierteljahrhundert wieder in unsere Familie zurückkehrt. Samstagskurse, Fußballschulen, Theatergruppen, Sprachkurse werden in vielen unserer 500 Begegnungsstätten angeboten. Wir ermuntern Sie dazu, dass Sie als Eltern für Kinder Anträge auf Deutsch als Muttersprache in allen Schularten und den Kindergärten stellen und sich um zweisprachige Klassen oder Schulen bemühen. Vor allem angesichts der drohenden Ideologisierung des Schulwesens nutzen Sie die Möglichkeiten, die mit der DMi verbundene Vereine anbieten. Nur auf der Grundlage der deutschen Sprache können wir unser Deutschtum, moderne und offene deutsche Kultur und Identität aufbauen. Die sind uns wichtig um der Assimilation einerseits und der eingeengten Regionalisierung andererseits zu entfliehen. Wir müssen alle Liebhaber der Sprache sein, um unseren Vorfahren würdige Nachfolger zu sein.
Im Jahr 2017 werden in Deutschland Bundestagswahlen stattfinden. Wir sind an den Ergebnissen interessiert, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass wir in den letzten Jahren durch die deutsche Regierung in Form der Verbesserung der Finanzierung unserer Tätigkeit besonders geschätzt wurden. Viele von uns können Einfluss auf das Resultat der Wahlen haben, indem sie aktiv teilnehmen, wozu wir Sie gerne ermutigen. Wir sollten auf dieses Privileg nicht verzichten und somit diejenigen wählen, die uns nahen Werte repräsentieren und für die die deutsche Minderheit ein Teil des deutschen Volkes ist.
Wir müssen in diesem Jahr die Einheit unter uns stärken, um uns an die neue und schwierige Zeit anzupassen. Viele Deutsche stehen heutzutage außerhalb unserer Organisationen und sehen dabei die Zwietracht und manchmal auch die Stagnation. Es ist jedoch klar, dass je schwieriger es wird, umso stärker wir zusammenhalten müssen. Unsere Begegnungsstätten sollten mit Leben erfüllt werden, denn nur so können wir neue und vor allem junge Menschen anziehen. Im vergangenen Jahr haben wir mit vielen über eine Entwicklungsstrategie gesprochen und wir waren uns einig, dass nur um solcher Zentren sich das kulturelle und gesellschaftliche Leben unserer Gemeinschaft drehen wird. Nur solche Begegnungsstätten benötigen wir. Beleben wir diese und erwecken sie aus der Stagnation, in die viele von ihnen geraten sind.
Zum Schluss möchte ich auf das Gedicht von Ingeborg Odelga zurückkommen, die schreibt „Nutzen wir die Zeit. Nutzen wir die Gegenwart.“
Ich danke jedem für jede Arbeit, vor allem die ehrenamtliche, die zu Gunsten der deutschen Kultur und Gemeinschaft in jeglichen Ecken Polens geleistet wurde. Ich wünsche uns Willen, Vernunft und Kraft für die weitere Arbeit, Stärkung unserer Gemeinschaft, die eine gemeinsame Identität festigt und offen gegenüber der Welt ist. Ich wünsche Ihnen allen ein gutes und gesegnetes Neus Jahr 2017.
Ihr Bernard Gaida